Korrespondierende Veranstaltungsreihe gemeinsam mit der Kunsthalle Darmstadt und
der Evangelischen Stadtakademie Darmstadt
Die großartige Werkschau von Thomas Sturm, die die Kunsthalle ermöglicht hat, steht unter dem Thema Aura. Wenn Aura, die Göttin der Morgenbrise, in der griechischen Mythologie geradezu sinnlich die Aura des frischen Aufbruchs verkörpert, so scheint das Wort der Zeitenwende eine Aura als dunkle Abendstimmung anzudeuten. Untergang und Aufbruch scheinen aktuell eng beieinander zu liegen.
Fasziniert von dem Werk des Künstlers und der Intention des Kurators, diese Ausstellung unter dem Begriff der Aura zu fassen, will die Evangelische Stadtakademie korrespondierend fragen: Was bedeutet Aura von Weltbildern, Erzählungen und Narrativen für individuelle wie kollektive Identität in der gegenwärtigen Gesellschaft? Welche Funktion hat sie für Gesellschaft und was bedeutet ihr möglicher Verfall?
In vorhandenen Weltbildern und Erzählungen sind offensichtlich Sehnsüchte auf Zukünftiges, Gefühle und Erwartungen eingewoben. Das macht ihre Aura aus, die uns berührt und zugleich Gewissheit geteilter Wahrnehmung erzeugt. Der Kulturtheoretiker Walter Benjamin verstand Aura, ursprünglich zum Kunstwerk gehörend, als eine veränderliche Nähe-Ferne-Beziehung zwischen Subjekt und Welt. Insofern präge dieses Verhältnis jeweils die kulturellen Wahrnehmungsweisen und damit auch das Bewusstsein in einer Gesellschaft.
Seine Erwartung war, dass durch die unbegrenzte und damit zeitgleiche Reproduzierbarkeit von Bildern durch Film und Fotografie eine verdichtete Nähe-Ferne-Beziehung entstehen würde, die zu aufgeklärteren Wahrnehmungsweisen führen würde. Zwar wurde den großen Kunstwerken die Aura der Einmaligkeit genommen, aber auch in den Erzählungen der Filme und der Fotografie reproduzierte sich eine Aura, weil sie in kulturell überlieferten Wahrnehmungsweisen Anschluss an individuelle wie kollektive Identität fanden. Dass diese neuen kulturellen Produktionstechniken nicht nur der Aufklärung dienten, sondern im Gegenteil auch totalitär mit dunklen und archaischen Mustern neu gefüllt werden konnte, ist leider bekannte Geschichte.
Für Jetzt in dieser unserer erlebten Zeitenwende ist davon zu bedenken, dass diese Nähe-Ferne-Muster in kulturellen Weltbildern und Erzählungen immer noch bedeutend sind für Identität und dass man achtsam sein muss, wenn solche Relationen zerbrechen. Denn die heute digital schier endlos gesteigerte technische Reproduzierbarkeit von Kunstwerken und allem anderen, scheint die Wahrnehmungsvermögen flüchtig werden zu lassen, ohne jedoch das Auratische des Ergriffenseins oder Sehnsucht letztlich aufzulösen. Ohne gemeinsame Verständigung bleibt da eine Leerstelle, die auch wieder gefährlich besetzt werden kann.
Sowie der Künstler in seinem Werkschaffen die Betrachter dazu nötigt, die Bilder, die Menschen, die Objekte genauer in ihrem Entstehungskontext wahrzunehmen und damit auratische Bruchstücke für sich selbst zu überprüfen und wieder zusammenzusetzen, so wird diese Arbeit auch gesellschaftlich notwendig, weil das Rauschen der Weltbilder, Ideologien und Erzählungen eine großes auratisches Durcheinander geschaffen haben. Das hat vereinzelt und auch vielfach untereinander bis zum Gegensatz sprachlos gemacht.
Wo findet sich also der Grund, von dem aus die Nähe der Realität und die Ferne einer Perspektive neu zusammenfinden? Kann dies in den vielschichtigen Welt-Krisen zu Krieg, Klima, Krankheit, Hunger gelingen, wenn die gewohnten Wahrnehmungsweisen von uns und von Welt grundsätzlich in Frage stehen?
Ein Versuch ist es sicher wert mit den eindrücklichen Mitteln der Kunst und mit einigen alltagstauglichen Diskursen dem Auratischen an vier Erfahrungsbereichen nachzuspüren: Der Aura des Krieges, der Aura von Städten und Orten, der charismatischen Aura von Menschen und der Aura von spirituellen Ritualen und Symbolen
Veranstaltung im Rahmen des Formats:Darmstädter Werkstatt: Identität und kulturelle Transformation